Rückblick 2000

Straßenfest gegen Rechts

„Freie Presse“  Werdau 14.08.2000

 Zwickau. „Wir bleiben hier noch mindestens zwei Stunden“, sagen drei junge Mädchen. Es ist Sonntag Mittag, ein Uhr, und die Sonne brennt steil und erbarmungslos auf den Zwickauer Hauptmarkt. Nicht einmal das beeindruckende Rathaus spendet Schatten. Die drei Mädchen sind freilich nicht die einzigen, die an diesem ersten hochsommerlichen Sonntag nach wochenlangem Regenwetter den Backofen der steinernen Stadt kühlen Gestaden von Badeweihern vorgezogen haben; an die 1500 oder vielleicht auch 2000 Menschen tun es ihnen gleich, harren aus, schwitzen – und das demonstrativ. Nach Zeite, in denen die Nachrichten beherrscht wurden von Neonazis und braunen Schlägertypen und „national befreiten Zonen“, haben DGB Oberbürgermeister und der gesamte Stadtrat die Zwickauer aufgerufen, zu zeigen, was sie von Intoleranz und Gewalt halten. Und die Menschen lassen sich nicht bitten. Sie kommen: Oma und Opa, Papa und Mama und die Kinder. Von Wochenend und Sonnenschein singen dazu die Barden der gefeierten Lokal-Band „Schwarzkittel Five“.

München am Vortag: Dort demonstrieren 3000 auf dem Marienplatz zu gleichen Zwecken. In Zwickau wollen etwa drei Dutzend Journalisten nun sehen, wie es um die Courage der Ostdeutschen denn bestellt sein mag. Vor dem Rathaus wartet der Ü-Wagen des ZDF. Die sächsische 100.000-Einwohner-Stadt kann locker mithalten mit der bayerischen Millionenmetropole.

Es war viel von Zahlen, Prozenten und Multiplikationsfaktoren die Rede in den vergangenen Wochen: zum Beispiel, um wieviel höher das rechtsextreme Potential im Osten Deutschlands sei im Vergleich zum Westen. Diese Zahlen muss man nicht leugnen. Die Bereitschaft der Menschen in Ostdeutschland, dagegen anzugehen – siehe Zwickau – aber auch nicht. Und die Zwickauer machen´s allein. In den Tagen zuvor hat der DGB-Kreisvorsitzende Werner Schuh die Erfahrung machen müssen, dass die Prominenz zwar ankündigt, ihr Gesicht zu zeigen, aber zu mehr dann doch nicht kommt, zumal nicht im Urlaub.

Morgens um zehn haben sich mehrere hundert Menschen schon am Hauptbahnhof getroffen, um im Fußmarsch durch die Stadt zum Hauptmarkt zu ziehen und dort das „Straßenfest gegen Rechts“ zu feiern. Berittene Polizei auch an allen Einfallstraßen. Man schaut sich an diesem 13. August genau an, wer nach Zwickau kommt. Denn es wollte zunächst vor allem die NPD kommen und ihren hier peplanten Marsch als „Schweigemarsch für die Maurertoten“ bemänteln.

Diesem Marsch war von den Stadtoberen die Genehmigung versagt worden, woraufhin die Rechtsextremen ihr Vorhaben lieber gleich selber stornierten – nicht ohne allerdings ihren Mitgliedern und Sympathisanten per Internet nahe zu legen, dann eben beim Straßenfest des Bündnisses gegen Rechts der Mauertoten zu „gedenken“. Für die sächsische Polizei das Zeichen zu verstärkter Einsatzbereitschaft. 18 Platzverweise gibt es denn auch für Leute, die die Polizei dem rechten Spektrum zuordnet, die in der Region einschlägig bekannt sind. Doch als der Demonstrationszug auf dem Markt eintrifft, sieht man keinen mehr von denen. Da sind sie schon des Platzes verwiesen. Hier und da nehmen Polizisten am Rande des Festes von besonders Kurzhaarigen deren Personalien auf und zeigen ihnen, dass man sie im Auge hat.

Alles bleibt ruhig. Auf der Bühne gibt Ostdeutschlands Country-Königin Gudrun Lange Einlagen im Nashvill-Sound. Dazwischen widerspricht der DGB-Mann Gerüchten, dass man hier bald „Besuch“ bekommen würde. „Keine Angst“, sagt er, „die Polizei schützt uns“. Die Leute haben keine Angst. Denn an diesem Sonntag auf dem Zwickauer Hauptmarkt sind nur die Bratwürste braun.

 Von Dagmar Ruscheinsky (Text) und Ulf Dahl (Fotos)

Wolf-Biermann mit Katzenelsons Holocoust-Epos und Ausstellungseröffnung über Rechtsextremismus

„Freie Presse“ Werdau und Zwickau (03.04.2000):

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Werdau (GME). In der »Brauthalle« der Marienkirche zu Werdau drängten sich die Konzertbesucher, zwischen ihnen der berühmt-umstrittene Barde Wolf Biermann aus Hamburg und die stille Hildegard Goss-Mayr aus Wien, die aufgrund ihrer gewaltfreien Bewegungen auf verschiedenen Kontinenten schon zwei Mal nah am Friedensnobelpreis war. Kirchliche und weltliche »Obrigkeit« war ausgeblieben, als Alexander Leistner die kleine Ausstellung »Spurensuche« über Rechtsextremismus unter Kindern und Jugendlichen in Werdau eröffnete. »Russen in die Biotonne« – »Wenn ich groß bin, kauf‘ ich mir auch Springerstiefel«, sind zehnjährige Kinder zitiert. Sensible Fotos mit weichgezeichneten Hakenkreuzen in der Spielplatzbank. Sensible Texte von Erich Fried. Die Sparkasse wollte die Ausstellung nicht in ihr Foyer, der Oberbürgermeister sie nicht ins Rathaus haben, obwohl es Fördermittel von Stadt, Landes- und Kreisjugendamt gab. Nun bekam die Exposition kurzfristig »Kirchenasyl«.

»Katzenelsons Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk« stand auf Biermanns Programm. »Erinnern heißt nicht, Asche aufheben, sondern die Flamme am Brennen halten«, besagt eine alte jüdische Weisheit. Biermann hat das Epos des in Auschwitz zu Asche gewordenen Jizchak Katzenelson in Israel aufgefunden, übersetzt und mutet es nun in zweieinhalbstündiger Lesung seinen Zuhörern zu. Die rund 250 Besucher ließen es sich zumuten, den Aufschrei und die Trauer eines Mannes um sein Volk. Den siebenarmigen Leuchter wollte Biermann nicht anzünden lassen. biermannKirche sollte Kirche bleiben. Doch in die Kirche passte und in die Passionszeit passte das Programm eines Nichtchristen, das von der Schuld eines Volkes handelt, das sich dem »christlichen Abendland« zugehörig fühlt, und dem Leiden eines anderen Volkes, das verfolgt wurde, obwohl christliche Traditionen ihm entstammen. Nach dem Soundcheck war Biermann spontan durch die verregnete Stadt auf »Spurensuche« gegangen nach der letzten Werdauer Jüdin, Else Backhaus, die voriges Jahr unbeachtet verstorben ist. Mit dem Andenken an sie und ihren Mann Bernhard, der aus Liebe bis zu Hitler vorgestoßen war, um sie heiraten zu dürfen, habe Werdau einen Schatz zu bewahren. Eine Schule oder eine Straße nach ihm zu benennen, der nach dem Krieg wegen Albert-Schweitzer-Büchern ins Zuchthaus Bautzen gebracht wurde, stehe einer Kreisstadt gut an.

Die Ausstellung »Spurensuche« kann bis Ostern dienstags von 14 bis 18 und donnerstags von 10 bis 14 Uhr in der Marienkirche Werdau besichtigt werden.

Grundhaltungen und Methoden der Gewaltfreiheit – Seminararbeit mit Wiener Friedensarbeiterin eröffnet (30.03.2000)

 Werdau (GME). In der Jugendherberge Werdau begann am Donnerstag mit 25 Teilnehmern ein Seminar zum Thema »Grundhaltungen und Methoden der Gewaltfreiheit«. Das vom Martin-Luther-King-Zentrum verantwortete Seminar wird von der 70-jährigen Hildegard Goss-Mayr aus Wien geleitet, die als die »Grand Dame der internationalen Friedensbewegung« gilt. Jahrzehntelang war sie auf verschiedenen Kontinenten maßgeblich an der Gründung von gewaltfreien Bewegungen beteiligt und wurde dafür schon zwei Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Die aus dem Landkreis, teilweise aber auch aus Dresden und von außerhalb Sachsens stammenden Teilnehmer sind Gymnasiasten, Studenten und Erwachsene aus verschiedenen Berufen. Goss-Mayr vertrat die Ansicht, dass Kraft, Macht und selbst Aggressivität nicht nur negative, sondern auch positive Gesichtspunkte und lebenserhaltende Kraft hätten. Einzig die Gewalt wertete sie ausschließlich negativ. Ihr sei aktive Gewaltfreiheit entgegenzusetzen. So bestehe die Chance, dass beide Seiten an Menschlichkeit reifen könnten.
Das Seminar wird heute weitergeführt und mündet in das öffentliche Konzert mit Wolf Biermann in der Marienkirche.

Seminarprogramm

Donnerstag, 30.3.2000
17.30 Uhr bis !8.30 Uhr Anmeldung in der Jugendherberge, individuelles Abendessen in der Pizzaria
19.00 Uhr  Eröffnung, gegenseitiges Bekanntmachen, Erwartungen, Vorstellung der  Referentin und des Seminars, Regeln
20.00 Uhr  Gruppenarbeit: Gewalt, die wir/andere erleiden; Gewalt, die von uns ausgeht
20.30 Uhr  Gruppenberichte
21.00 Uhr  Abschluß

Freitag, 31.3.2000
7.30 Uhr   Meditation (Angebot)
7.45 Uhr   Frühstück
8.30 Uhr   Referat: Definitionen Kraft, Macht, Aggressivität, Gewalt und deren Logikaustausch
10.00 Uhr  Pause
10.20 Uhr  Brainstorming: Wie reagieren wir auf Unrecht und Gewalt? Passivität- (Gegengewalt)- Gewaltfreiheit
10.30 Uhr  Brainstorming: Was verstehen wir unter Gewaltfreiheit?
10.45 Uhr  Referat und Gruppenarbeit: Humanistische und spirituelle Grundlagen der  Gewaltfreiheit
12.15 Uhr  Mittagspause
14.15 Uhr  Vertrauensbildente Übung (emty bottle)
14,30 Uhr  Gruppenarbeit: Persönliche Erfahrungen mit der Kraft der Gewaltfreiheit
15.00 Uhr  Berichte
15.20 Uhr  Referat: Methoden der gewaltfreien Aktion 1 (Analyse, Schulung, Dialog) – Austausch
16.30 Uhr  Pause
16.50 Uhr  Bildung von Arbeitsgruppen zu konkreten Konflikten
17.10 Uhr  Gruppenarbeit: Auswahl und Analyse des Konfliktes
18.15 Uhr  Abendpause
19.30 Uhr  Angebot: Video „An Army of Peace“ (Gewaltfreiheit in Kambodscha) oder Erzählen von Beispielen und Austausch
21.00 Uhr  Abschluß

Samstag, 1.4.2000
7.30 Uhr   Meditation (Angebot)
7.45 Uhr   Frühstück
8.30 Uhr   Referat: Methoden der Gewaltfreien Aktion 2 (Direkte Aktion, Fasten, Ziviler  Ungehorsam, Austausch)
10.00 Uhr  Pause
10.20 Uhr  Gruppenarbeit: Vorschläge, gegebenenfalls Lösungsschritte für en gewählten Konflikt
11.45 Uhr  Gruppenbericht (in Wort oder Darstellung)
12,15 Uhr  Mittagspause
14.00 Uhr  Spiel
14.15 Uhr  Fortsetzung der Gruppenberichte
15.00 Uhr  Gruppenarbeit: Das konstruktive Programm (Initiativen zu Gewaltprävention und einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit)
17.30 Uhr  Abendpause
18.45 Uhr  Ausstellungseröffnung „Spurensuche“ in Marienkirche
19.30 Uhr  Konzert Wolf Biermann „Jizchak Katzenelson – Großer Gesang vom  ausgerotteten jüdischen Volk“

Sonntag, 2.4.2000
9.30 – 11.30 Uhr Jahreshauptversammlung des M.-L.-King- Zentrums e.V.