Image

Rückblick 2005

Nachruf auf unseren Freund Hans-Jochen Vogel

Am 27. Dezember 2005 verstarb nach langer, schwerer Krankheit im Alter von 62 Jahren Hans-Jochen Vogel, bekannt vor allem durch seine Zeit als Studentenpfarrer von Karl-Marx-Stadt und durch sein bis zuletzt durchgehaltendes Friedens-Engagement.
Wir verlieren mit ihm einen guten Freund, mit dem wir nicht immer einer Meinung waren, der aber aufgrund seiner Geradlinigkeit von uns und vielen Menschen aus verschiedenen Richtungen geschätzt wurde. Das bewies auch die überaus starke Beteiligung an der Trauerfeier für ihn in der Schloßkirche Chemnitz.
Hans-Jochen hat wohl selbst noch ein Zitat des litauisch-französich-jüdischen Philosophen  Emmanuel Lévinas für seine Traueranzeige ausgesucht, in dem es heißt,
„Die einseitige Tat ist  nur möglich in der Geduld; die bis ans Ende durchgehaltene Geduld bedeutet für den Handelnden: darauf zu verzichten, die Ankunft am Ziel zu erleben, ohne das gelobte Land zu betreten.“
Es hat uns berührt, wie Hans-Jochen dieses Bild aufgegriffen hat, das sich von Mose bis Martin Luther King und darüber hinaus durch die Biografien von Menschen zieht, die ihr Handeln nicht von der Erreichbarkeit eines Zieles zu ihren Lebzeiten abhängig machen. Seitdem ich im Jahre 2005 selbst auf dem Mosesberg Nebo in Jordanien gestanden habe und den Blick über das Jordantal hatte, ist mir dieses Bild noch näher gekommen. Lasst uns gemeinsam für eine friedlichere irdische Welt weiterarbeiten, auch wenn wir sie nicht endgültig werden schaffen können.

Schorsch Meusel

Rosa-Parks-Platz – Berlin-Wedding

Die Ecke Föhrer und Torfstrasse wird auf Wunsch einer Anwohnermehrheit im Sprengelkiez nach der kürzlich verstorbenen amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks benannt. Eine offizielle Namensgebung ist erst fünf Jahre nach dem Tod eines „Namensgebers“ möglich. Bis dahin soll es ein inoffizielles Schild geben.“

(Informationn im „Berliner Abendblatt“, Wochenzeitung für Wedding – Tiergarten, 14.12.2005, 8.Jg., Nr. 50)

Busboykott in Montgomery vor 50 Jahren 

Am 1. Dezember 1955 geschah in der Stadt Montgomery/Alabama etwas, das sich
zu einer sImagepektakulären und erfolgreichen Aktion entwickeln sollte. Die 42jährige Afroamerikanerin Rosa Parks blieb einfach auf ihrem Platz im Bus sitzen, den sie laut Rassengesetz an einen Weißen hätte abtreten müßen. Für heutige Zeit sind die vor einem  gerademal halben Jahrhundert zurückliegenden Zustände kaum noch  nachzuvollziehen ähnelten sie doch sehr stark Bedingungen eines rassistischen Sklavenhalterstaates. Die Kette der Ereignisse welche Rosa damit jedenfalls auslöste führte letztendliche zum aufflamen und erstarken der afroamerikanischen Bürgerbewegung in den USA. Daher erhielt sie auch den Namen „Mutter der Bürgerrechtsbewegung“. Am 25.10.2005 verstarb Rosa Parks im Altern von 92 Jahren in Detroit.

Buchvorstellung mit Erich Loest in Leipzig

Am 24.11.2005 findet um 19.00 Uhr im Image zeitgeschichtlichen Museum die Buchvorstellung von „Raum für Güte und Gewissen“ statt. Im Anschlußdaran folgt eine Podiumsdiskussion mit Erich Loest und George Meusel. Mit dieser Veranstaltung wird an die Ausstrahlung an das Friedensseminar Königswalde erinnert. 


„Im Herbst 1989, als der Ulbricht-Honecker-Staat in die Luft flog, fragten mich manche, wie denn das alles so plötzlich gekommen sei. Ich antwortete, diese Eruption hätte eine lange Vorgeschichte, und erinnerte mich an Königswalde …

Sie waren weder übermütig noch größenwahnsinnig.
Sie suchten Raum für Güte und Gewissen.

Erich Loest 

 Veranstalter: Sächsische Landeszentrale für politische Bildung

Lutz Rathenow liest am 11.11.2005 um 19 Uhr aus seinem Buch „Ostberlin“

ImageWerdau. Es hätte sein DDR-Bild völlig gekippt, hätte sein „Ostberlin“-Buch damals in der Hauptstadt der DDR erscheinen können. Diese Möglichkeit also gar nicht ins Auge fassend, gab er das Manuskript gleich einem im Osten akkreditierten West-Journalisten mit. „Leben vor dem Mauerfall“. Illustriert mit Fotos, darunter nicht ein gestelltes, von Harald Hauswald. Lutz Rathenow liest und erzählt in der Jugendherberge Werdau, vermittelt durch seinen Studienfreund Werner Seifert vom Gymnasium, organisiert vom Martin-Luther-King-Zentrum, gefördert von der Wilhelm-Külz-Stiftung Dresden. Herbergsmutter Angelika Kosak gewährt der Zuhörerschaft im Gruppenraum ihre Gastfreundschaft. Von der Uni Jena gefeuert, hatte es Rathenow nach Berlin gezogen, wo „Häuser auf die Gehsteige rieseln“ und schöne Frauen ausgerechnet immer in die entgegengesetzte S-Bahn eilten. Und wo ärgste Klassenfeinde in amerikanischer Uniform friedlich durch Straßen schlenderten.
Der Schriftsteller hatte das Maß für sich gefunden, in der DDR zu leben und „Ausreise“-Angebote für den Ungeliebten immer abgelehnt. Selbstironisch berichtet er über damals und heute. Ein Verlag untersagte ihm, ein neues Fußball-Gedicht vor der Weltmeisterschaft auch nur vorzutragen. Also verfasste Rathenow gleich noch ein paar Gedichte über das runde Leder. Auch aus einem unveröffentlichten Kinderbuch liest er. Was Kinder verstehen, verstehen Erwachsene manchmal auch. Es sei ja bald Weihnachten. Also gibt er einen Ostertext zum Besten. West-Jugendliche fragten mehr nach als Ost-Jugendliche, wenn Rathenow in Schulen liest. An diesem Abend wird viel gefragt. (GME)

Pfarrer Bauer ermuntert: Auch heute noch eine Lippe riskieren

Werdau. Eine Gedenktafel mit dem Schwerter-zu-Pflugscharen-Symbol hat Georg Meusel vom Werdauer Martin-Luther-King-Zentrum am Sonntagvormittag (6.11.2005) an der Werdauer Marienkirche enthüllt. Sie ist die erste von 15 Tafeln, die künftig einen Weg der friedlichen Revolution durch die Stadt bilden sollen.

Das Schild war zuvor von einer Peace-Regenbogen-Fahne aus der Bewegung gegen den Irak-Krieg bedeckt gewesen. Meusel zog sie mit der Bemerkung herunter, dass Friedensbewegung auch immer Befreiungsbewegung ist und von daher auch vor und während der friedlichen Revolution eine große Rolle gespielt habe. Das Schwerter-zu- Pflugscharen-Symbol, das auf allen Tafeln zu sehen sein wird, hat die Friedensbewegung in der DDR seit dem Kirchentag 1978 in Leipzig begleitet. Gefördert wird das Projekt des Weges der friedlichen Revolution von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Stadt Werdau und Fred Oettel aus den USA.

 Vor der Enthüllung der Tafel hatte in der Marienkirche ein gut besuchter Gottesdienst stattgefunden. Manfred Bauer aus Dresden gab in seiner Predigt den Bibeltext von der Heilung eines Stummen durch Jesus aktuellen Bezug. Wie damals dieses Wunder als Teufelswerk angefeindet worden sei, hätten die Machthaber 1989 es als Konterrevolution diffamiert, als DDR-Bürger ihr Schweigen gegenüber Missständen gebrochen haben. Bauer ermutigte dazu, auch heute „eine Lippe zu riskieren“, obwohl dies auch heute „riskant“ sein könne. (vim)

Georg Meusel vom Martin-Luther-King-Zentrum (rechts) hat am Sonntag die erste Gedenktafel des Revolutionsweges enthüllt.

Projekt aus Sachsen sichert Dokumente aus DDR-Zeiten

VON GEORG MEUSEL

Dresden/Werdau. Sie dokumentieren ein Stück Geschichte der Opposition in der DDR: die Flugblätter und Zeitschriften, mit denen systemkritische Nachrichten und Mitteilungen unters Volk gebracht wurden. Dieses Material sei „ein wichtiges Kulturgut“, meint Tom Sello von der Berliner Robert-Havemann-Gesellschaft, die den größten Bestand verwaltet. Doch den insgesamt etwa 15.ooo Seiten Papier, die noch vorhanden sind, droht der Verfall. Deshalb werden sie jetzt digitalisiert und sollen so gerettet werden. Die Deutsche Forschungsgesellschaft und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Berlin fördern das Projekt, das federführend von der Umweltbibliothek Großhennersdorf und der Technischen Universität Dresden bearbeitet wird.

Zu diesem DDR-Samisdat – der Begriff stammt aus dem russischen Wort für „Selbstverlag“, womit in der Sowjetunion Untergrundliteratur bezeichnet wurde – gehören vor allem Periodika von Oppositionsgruppen der 198oer Jahre, die unterdrückte Nachrichten und Meinungen oft mit primitiven Mitteln vervielfältigt und verbreitet haben. Als früheste dieser Veröffentlichungen gelten die „Briefe“, die das Kirchliche Forschungsheim Wittenberg zur Umweltproblematik herausgegeben hat. Aus dem DDR-Bezirk Karl-Marx-Stadt betrifft es insbesondere die Referate und Arbeitsgruppenberichte der Königswalder Friedensseminare. Ansonsten stammen die meisten dieser Publikationen, wie die „Umweltblätter“ oder der „Grenzfall“, aus Berlin und Leipzig. Anders als bei Wachsmatritzen-Technik gibt es bisher keine konservatorische Möglichkeit, zum Beispiel mit Ormig-Technik hergestellte Texte dauerhaft zu sichern. Das ist einer der Gründe dafür, weshalb mit dem aufwändigen Samisdat-Projekt die jeweils am besten lesbaren Exemplare dieser halb- und nicht legalen Vervielfältigungen recherchiert, eingescannt und außerdem abgeschrieben wurden. Letzteres erfolgte in Vietnam. So wird es zukünftig möglich sein, die Publikationen originalnah im Internet auf zurufen und zusätzlich eine Volltextsuche durchzuführen.

In Sachsen sind die drei „Unabhängigen Archive der DDR-Bürgerbewegung“ in das Projekt einbezogen. Für den damaligen DDR-Bezirk Karl-Marx-Stadt wird das „Martin-Luther-King-Zentrum, Archiv der Bürgerbewegung Südwestsachsen e.V.“ in Werdau vom Freistaat gefördert. Es hat aus seinem Bestand bereits Leihgaben für das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland/Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, für die gegenwärtige Ausstellung „Der Krieg und seine Folgen“ im Deutschen Historischen Museum Berlin und für die Ausstellung „Ferne und Nähe – Deutsche, Tschechen und Slowaken“ 2006 im Nationalmuseum am Wenzelsplatz Prag zur Verfügung gestellt.

Für weitere Projekte sucht das King-Zentrum Schriftgut, Dokumente, Fotos und Sammlungsgut aus DDR-Zeiten. Das können Briefe und Briefumschläge, Flugblätter oder Handzettel sein, Bevölkerungseingaben, Vorgänge zu Gesellschaftskritik, zu Ubersiedlungsproblematik und „Republikflucht“, Opposition, Repression und zur „Friedlichen Revolution“. Als Sammlungsgegenstände für Ausstellungsarbeit sind die West-Antenne ebenso willkommen wie ein West-Paket-Karton oder eine Kampfgruppen-Uniform. Was davon noch existiert, sollte geborgen werden, bevor die betreffenden Bürger oder deren Erben es möglicherweise unbeachtet wegwerfen. Das King-Zentrum Werdau sucht darüber hinaus Zeitzeugen, die ihre negativen als auch positiven DDR-Erlebnisse und -Erfahrungen niederschreiben oder sich für Zeitzeugengespräche zur Verfügung stellen, so lange sie es noch können.

Freie Presse – Kultur- 08.06.2005

Achim Beyer las am 21.04.2005 um 19 Uhr aus seinem Buch „Urteil: 130 Jahre Zuchthaus“

Werdau. Achim Beyer stellte am 21. April 2005 um 19.00 Uhr vor 80 Zuhörern im Werdauer Rathaus sein Buch „Urteil: 130 Jahre Zuchthaus“ vor, in dem es um den Prozess gegen die „Werdauer Oberschüler“ in Zwickau im Jahre 1951 geht.

Dafür, dass sich Achim Beyer gemeinsam mit Freunden anhand von Flugblättern gegen totalitäre Politik gewandt hatte, musste er fünfeinhalb Jahre seiner Jugend hinter Zuchthausmauern verbringen. In der DDR waren diese Ereignisse tabu. Nach der Friedlichen Revolution erfuhren längst erwachsene Kinder eines Betroffenen 1990 aus dem „Werdau-Crimmitschauer Wochenblatt“, was dem eigenen Vater knapp 50 Jahre zuvor widerfahren war. Weitere Veröffentlichungen und ein Dokumentarfilm folgten. Im Werdauer Gymnasium erinnert eine Gedenktafel an das Geschehen.