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Rückblick 2009

„Wunde Punkte –Wendepunkte“


Gedenkveranstaltung „20 Jahre Friedliche Revolution in Werdau“

am Freitag, 6. November 2009 19 Uhr in der St.Bonifatius-Kirche Werdau

Ein Missstand muss erst untragbar und offenkundig werden, bevor eine Änderung gegen den Willen der jeweils Mächtigen möglich wird. „Wunde Punkte“ können also erst zu „Wendepunkten“ werden, wenn die Wunde nicht mehr heilbar ist. Kritische Bürger aus dem Raum Werdau hatten starken Anteil daran, gesellschaftliche Missstände öffentlich zu machen und auf Veränderungen zu drängen. Seit 1987 zogen die „Marienkäfer“, die Junge-Gemeinde-Band der Marienkirche Werdau, mit ihren gesellschaftskritischen Songs durchs Land und legten den Finger vor allem auf die Wunden der gestressten Umwelt. Im Januar 1989 traf sich der Vorbereitungskreis des Christlichen Friedensseminars Königswalde zu einer Klausurtagung und verfasste eine Eingabe an die Landessynode zu den bevorstehenden Kommunalwahlen, die in eine landesweite „Kanzelabkündigung“ mündete. Als daraufhin im Mai 1989 die Wahlfälschungen in der DDR öffentlich gemacht wurden, trat die Unheilbarkeit des erstarrten Systems besonders auffallend zu Tage.
Im zeitlichen Vorfeld und während der Friedlichen Revolution gab es eine Vielzahl weiterer Aktivitäten und Aktionen, von denen einige DDR-erstmalig oder DDR-einmalig waren. Beispiele sind der internationale Pilgerweg Königswalde-Dänkritz im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, die Auseinandersetzungen am Gleisdreieck Steinpleis/Ruppertsgrün, den „Runden Tisch“, Friedensgebete und Demonstrationen, die „Menschenkette“, das „Werdau-Crimmitschauer Wochenblatt“, die Bürgerratswahl und eine Entschuldigungsveranstaltung der Volkspolizei.

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„Unter Druck“   – Die Zeitungen der Friedlichen Revolution
– Aufatmen nach Jahrzehnten unter Pressezensur –

Diese Wanderausstellung des Martin-Luther-King-Zentrums Werdau wurde am Dienstag, den 3. November 2009 um 18 Uhr, im Sächsischen Landtag durch Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler eröffnet. Auf 22 Rollwänden behandelt die Exposition in einem Vorspann die Geschichte der Presse und den Kampf um Pressefreiheit.

Schwerpunktmäßig werden die Zensurgeschichte, einschließlich der „Schere im Kopf“, die Behinderung der Kirchenzeitungen und das Samisdat in der DDR dokumentiert sowie die Entstehung der parteiunabhängigen Zeitungen im Verlauf der Friedlichen Revolution und in den Monaten der Demokratisierung 1990.
Im Schlussteil werden das Ost-West-Leserverhalten sowie Chancen, Grenzen und Gefahren von Pressefreiheit in der Gegenwart kritisch beleuchtet.

Das Projekt wird gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, von der Sächsischen Staatskanzlei, der Stadt Werdau und dem Sächsischen Landesbeauftragten.

„Weg der Friedlichen Revolution“ in Plauen eröffnet

Ministerpräsident Tillich enthüllt erste Gedenktafel des Martin-Luther-King-Zentrums

Plauen. Am Abend des 7. Oktobers 2009 wurde im vogtländischen  Plauen ein „Weg der Friedlichen Revolution“ eingeweiht, indem Ministerpräsident Stanislaw Tillich und der frühere Superintendent Thomas Küttler die erste von acht Erinnerungstafeln an Aktionen und Ereignisse der Friedlichen Revolution in Plauen enthüllte.
Es handelt sich um ein Projekt des Martin-Luther-King-Zentrums für Gewaltfreiheit und Zivilcourage Werdau, das auch von der Bundesstiftung Aufarbeitung und der Stadt Plauen gefördert wurde. 

Die Tafel am Rathaus erinnert an die Demonstration der Plauener am 7. Oktober 1989, dem „Tag der Republik“ in der DDR. Nach der „Schlacht um den Dresdner Hauptbahnhof“ am 4. Oktober wurde dort durch Vermittlung von Thomas Küttler zwischen den bewaffneten Organen und fast 20.000 Demonstranten erstmalig eine Wende zur Gewaltfreiheit erreicht, bevor dies am 8. Oktober mit Unterstützung der „Gruppe der 20“ rund 20.000 Bürgern in Dresden und am 9. Oktober den etwa 70.000 Demonstranten mit den „Sechs von Leipzig“ gelang.

Die Veranstaltung in Plauen fand im Anschluss an die Grundsteinlegung für ein „Freiheitsdenkmal“ zur Erinnerung an die Friedliche Revolution in Plauen statt.

Das Martin-Luther-King-Zentrum hat mit Unterstützung verschiedener Fördergeber bereits in den Städten Werdau, dann in Crimmitschau und Zwickau im früheren Bezirk Karl-Marx-Stadt, jeweils etwa 15 Stationen auf ähnliche Weise dauerhaft markiert. Alle Erinnerungstafeln zeigen das auf biblische Prophetie zurückgehende Schwerter-zu-Pflugscharen-Symbol vor Schwarz/Rot/Gold, wie es Anfang 1990 im Verfassungsentwurf des Zentralen „Runden Tisches“ als Staatsflagge für die demokratisierte DDR vorgesehen war, bevor der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland beschlossen wurde. 
Die Initiatoren dieser „Wege der Friedlichen Revolution“ wollen daran erinnern, dass sich die Friedliche Revolution nicht allein in den Metropolen vollzogen hat, sondern auch in der DDR-Provinz sich viele Bürger engagiert haben, um deren regionale Identität zu stärken und zu Zivilcourage heute zu ermutigen.

Achim Beyer verstorben

Am Montag, dem 28. September 2009 verstarb nach schwerer Krankheit Achim Beyer.Achim Beyer

Achim Beyer gehörte zu dem oppositionellen Kreis der Werdauer Oberschüler, die 1950 mit Flugblättern gegen das Todesurteil gegen Hermann Flade protestiert und zum Widerstand gegen die SED-Diktatur aufgerufen hatten. Beyer wurde am 4. Oktober 1951 im Landgericht Zwickau zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er 5 Jahre verbüßen musste. Kurz nach seiner Haftentlassung floh er in die Bundesrepublik.
Er gehörte in Erlangen zu den Mitbegründern der Studentengruppe „Collegia Politica“ und zum Institut für vergeichende DDR-und Deutschlandforschung. In Erlangen war er 25 Jahre lang Vorsitzender des „Kuratoriums Unteilbares Deutschland“. In diesen Arbeitsbereichen erschienen von ihm zahlreiche Publikationen. Wegen seiner deutschlandpolitischen Aktivitäten wurde er auch in der Bundesrepublik vom MfS überwacht und operativ bearbeitet. 
Nach dem Ende der DDR engagierte er über zwei Jahrzehnte als Zeitzeuge und Aufklärer über die SED-Diktatur. Bekannt wurde sein Buch „Urteil: 130 Jahre Zuchthaus. Jugendwiderstand in der DDR und der Prozess gegen die ‚Werdauer Oberschüler‘ 1951“, mit dem er den Blick der zeitgeschichtlichen Forschung auf den frühen Widerstand in SBZ und DDR lenkte.

Literatur über Achim Beyer:
Fricke, Karl Wilhelm; Steinbach, Peter; Tuchel, Johannes: Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder. Verlag C.H.Beck, München 2002.

Juni 2009

Das Martin-Luther-King-Zentrum Werdau sandte an US-Präsident Obama anlässlich seines Sachsen- Thüringen-Besuches in Form einer „Überflug-Botschaft“ eine Grußadresse für die mögliche Überquerung der westsächsischen Region, wo sich das deutsche King-Zentrum befindet:

Überflug-Botschaft Dresden-Weimar

Sehr geehrter Herr Präsident,

wir freuen uns über Ihren Deutschland-Besuch und besonders, dass Sie mit Ihrem geplanten Aufenthalt in Sachsen und Thüringen auch in unseren regionalen Großraum kommen.

Auf Ihrem Weg von Dresden nach Weimar überfliegen Sie möglicherweise die Region, in der sich das Martin-Luther- King-Zentrum Werdau in West-Sachsen befindet. Wir sind eine kleine Einrichtung, jedoch das einzige Martin- Luther-King-Zentrum in Deutschland, das sich in die wenigen King-Zentren weltweit wie Atlanta/Georgia, Havanna/Kuba und Lausanne/Schweiz einreiht.

Mit unserer Arbeit knüpfen wir an das Gedankengut der Gewaltfreiheit Martin Luther Kings an, das seinerzeit viele Menschen in der Friedensbewegung in West- und Ostdeutschland inspiriert hat bis hin zu den Initiatoren und Multiplikatoren der Friedlichen Revolution in der DDR 1989.

Mit der Wahl eines schwarzen Präsidenten in den USA sehen wir einen der Träume Martin Luther Kings erfüllt. Wir begrüßen Ihre Wahl in dieses verantwortungsvolle Amt und wünschen, dass Sie mit Ihrer Autorität helfen können, Ihr Land und die Welt auch Kings Träumen von Gewaltfreiheit und nichtmilitärischer Friedensbewahrung in einem „Welthaus“ für alle Menschen ein Stück näher zu bringen.

Für Deutschland hoffen wir auf einen Abzug der amerikanischen Atomwaffen,
für Europa auf  den Verzicht auf einen Raketenschirm gegenüber Russland,
für den Nahen Osten, Irak und Afghanistan auf Vorrang für politische Lösungen.

„Weg der Friedlichen Revolution“ in Crimmitschau, Plauen und Zwickau

In den Städten Crimmitschau, Plauen und Zwickau markiert das Martin-Luther-King-Zentrum für Gewaltfreiheit und Zivilcourage Werdau aus Anlass des 20. Jahrestages einen so genannten „Weg der Friedlichen Revolution“. Dazu wurden jeweils etwa zehn bis 18 Stationen, wo 1989/1990 besondere Aktionen und Ereignisse stattfanden, mit einer Erinnerungstafel markiert.

In Crimmitschau ludt Oberbürgermeister Holm Günther im Namen des King-Zentrums, von Vertretern der Lutherischen Kirche und der Katholischen Pfarrgemeinde für Dienstag, den 28. April 2009 um 16 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung in die St.-Franziskus-Kapelle ein. Anschließend wurde dort die erste Tafel angebracht. Die Montage der anderen Schilder an städtischen, kirchlichen und privaten Gebäuden erfolgte später.

Mit dem Projekt soll soll daran erinnert werden, dass sich die Friedliche Revolution in der DDR nicht allein in den Großstädten, sondern auch hier in der Provinz vollzogen und welchen unveräußerlichen Schatz Ostdeutschland mit der Friedlichen Revolution in die deutsche Einheit eingebracht hat.

Crimmitschau spielte, vor allem im Bereich der Kirchgemeinden und mit Gründung des „Neuen Forums“, im Vorfeld und im Verlauf der Friedlichen Revolution eine wesentliche Rolle. Schon in den ersten Monaten des Jahres 1989 hatten Bürger in Aufrufen und Eingaben gegen die Verwendung von radioaktiv strahlendem Wismut-Splitt im Straßenbau protestiert und sich mit dem inhaftierten tschechoslowakischen Reformer Vaclav Havel solidarisiert.  

Im damaligen Bezirk Karl-Marx-Stadt gab es mehrere DDR-erstmalige und DDR-einmalige Aktionen. Der „Weg der Friedlichen Revolution“ soll daran erinnern, das Selbstbewusstsein der nachfolgenden Generation stärken helfen und dazu ermutigen, auch in der Gegenwart couragiert das Schicksal in die eigenen Hand zu nehmen.

Zwickau und Plauen haben für den Herbst entsprechende Gedenkveranstaltungen vorgesehen. Ein „Pilotprojekt“ wurde schon 2005 in Werdau realisiert. Ein ensprechendes Begleitheft ist in der Stadtinformation, im King-Zentrum und in den Kirchen erhältlich.

Die Schilder der Stationen des Weges zeigen einheitlich die DDR-Flagge aus dem Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches von 1990 mit der vor dem UNO-Hauptquartier in New York stehenden Skulptur des sowjetischen Bildhauers Jewgeni Wutschetitsch, das die biblische Botschaft „Schwerter zu Pflugscharen“ symbolisiert (Micha 4). Dieses Zeichen hatte sich die Friedensbewegung als einer der Wegbereiter der Friedlichen Revolution zu Eigen gemacht.

Vortrag und Diskussion mit dem Politologen Dr. Larry Mobley

Martin Luther King und die DDR

Dienstag, 31. März 2009 19:00 Uhr im Martin-Luther-King-Zentrum Werdau

Am 13. September 1964, wenige Tage nach Verabschiedung des Bausoldatengesetzes der DDR und wenige Wochen vor der Nobelpreisverleihung in Oslo besuchte Martin Luther King Ost-Berlin und sprach vor 3.000 Menschen in der Marienkirche und der Sophienkirche.
Es war sein einziger Besuch im Ostblock, weder vom State Departement der USA noch von der DDR-Führung wirklich gewollt.

Welche Stellung hatte Martin Luther King zum Kommunismus? Mit den Worten „Der Antikommunismus hat uns in zu viele Sümpfe geführt“ hatte er sich hinter die Kommunisten Du Bois und Neruda gestellt. Andererseits lehnte er an der kommunistischen Ideologie den „kalten Atheismus im Gewand des Materialismus“ und den „verkrüppelten Totalitarismus“ ab. Umgekehrt hatte die offizielle DDR auch ein gespaltenes Verhältnis zu King. Sie rühmte seine Kritik am USA-System und am Vietnamkrieg, konnte jedoch mit seiner Methode der Gewaltfreiheit nichts anfangen.

Der amerikanische Politologe Dr. Larry Mobley untersucht – ebenso wie das Martin-Luther-King-Zentrum Werdau – die Berührungspunkte zwischen Martin Luther King und der DDR. Dabei geht es um seine Ansichten zum Kommunismus und um das ambivalente Verhalten der staatsoffiziellen DDR gegenüber Martin Luther King. Zum anderen wird der Einfluss seines Gedankengutes auf Kirchgemeinden, die Friedens- und Bürgerbewegung in der DDR im Blick auf die Friedliche Revolution behandelt. Außerdem wird den Kontakten nachgegangen, die es von staatsnaher und staatsunabhängiger Seite zu Martin Luther King gegeben hat.

Den Einführungsvortrag und die Moderation übernahm Dr. Christoph Körner, Pfarrer i.R., Erlau.
Dr. Larry Mobley, geboren in Orlando/Florida studierte in Chicago, San Diego und Boston Politik und Rechtswissenschaften, besuchte die DDR, lebt und arbeitet z. Zt. in Zielona Gora (Polen).

Wie sich die Opposition auf die letzte Wahl in der DDR vorbereitete

Friedensbibliothek Zwickau und Friedensseminar Königswalde begannen im Januar 1989 mit den Informationen zu Gegenstimmungen und Enthaltung bei der Kommunalwahl

Zwickau. „Warst Du auch schon zur Volkszählung?“, hieß es vor mehr als 20 Jahren, wenn sich zwei DDR-Bürger auf der Straße trafen. 90 Prozent der Bürger, glaubt der Bürgerrechtler Erwin Killat, sind die DDR-Wahlen deshalb auch egal gewesen: „Es gab nichts zu entscheiden.“ Bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 sollte es anders werden. Die Vorbereitungen auf dieses Ereignis begannen im Januar.
Am 14. des Monats traf sich der Vorbereitungskreis des Friedensseminars Königswalde zur Klausurtagung in Neukirchen. Dabei formulierten die Teilnehmer eine Eingabe an die sächsische Landessynode, in den Gottesdiensten darauf aufmerksam zu machen, wie Gegenstimme oder Stimmenthaltung zu Stande kamen. Schließlich genügte es nicht, den Wahlzettel einfach mit einem großen Kreuz durchzustreichen. Ein Kandidat, der nicht von den beiden Strichen erfasst wurde galt als gewählt. Es musste deshalb jeder einzelne Kandidat der Einzelliste auch einzeln durchgestrichen werden.
Das wiederum brauchte Zeit, vorzugsweise natürlich in der Wahlkabine. Die suchten allerdings nur wenige Menschen auf. „Uns ging es auch darum, dass die Menschen ihre Stimme nicht einfach so abgaben, wie das erwartet wurde, sondern dass sie die Wahlkabine benutzten“, sagt Bernd Gerber, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Werdauer Martin-Luther-King-Zentrums, in dem sich heute der Bestand der Friedensbibliothek befindet. Viele Menschen im damaligen Landkreis Werdau hat er in Gesprächen mit der grauen Theorie vertraut gemacht. Aus eigener Erfahrung weiß er, welche Überwindung es den Einzelnen am Wahltag kostete, die Kabine aufzusuchen. Und das nicht nur, weil diese nicht immer leicht zu finden oder, das andere Extrem, leicht einsehbar war. Viel schlimmer: Wer in die Wahlkabine ging, wurde registriert. Gerber kann sich an das Bleistiftkreuzchen neben seinem Namen noch genau erinnern. „Das ging völlig mechanisch, man hatte nicht einmal gewartet, bis ich das Wahllokal verlassen hatte.“ Kein Einzelfall, sondern System. Entsprechend groß die Verunsicherung in der Bevölkerung. Die Leute waren hungrig nach Informationen, die bis dahin tabu waren. „Wir haben dabei immer dafür geworben, zur Wahl zu gehen, weil es nichts bringt, sich zu enthalten, weil ja aus denen, die zur Wahl gegangen sind, 100 Prozent gemacht wurden“, so Gerber. Weder die Mitglieder der Friedensbibliothek noch des Friedensseminars wollten die DDR abschaffen. Das Ziel lautete nur: demokratische Wahl. (CW)

Freie Presse Werdau-Crimmitschau, Januar 2009, Christian Wobst