Nachruf von Martin Böttger zum Tod von Werner Schulz
Mein Freund Werner Schulz galt als der Stachel im Fleisch der Grünen. Bis zur Revolution 1989 war er eine Laus im Pelz der Mächtigen. Und was war er dann in der Politik? Er spielte Solotrompete in einem vielstimmigen parlamentarischen Orchester. Er war nie Dirigent (das war lange Zeit Joschka Fischer) in einem Klangkörper mit Claudia Roth als Konzertmeisterin und Cem Özdemir am Schlagzeug. Als ehemaliger Schüler des Käthe-Kollwitz-Gymnasiums und als Förderer des bündnisgrünen Kreisverbandes Zwickau blieb Werner seiner Heimatstadt verbunden. Ich erinnere mich noch, wie der gerade erst fusionierte Zwickauer Kreisverband im Jahr 2008 auf einer Mitgliederversammlung in Lichtenstein sein Votum zur Europakandidatur mit nur einer Enthaltung an Werner vergab.
Ich lernte ihn in Berlin als Mitgründer des Neuen Forums kennen. Sein rhetorisches Talent, seine politische Klarsicht und seine Leidenschaft für Ökologie und Menschenrechte bewogen mich Ende März 1990, mein Volkskammermandat an ihn weiterzugeben. Ich habe diese Entscheidung nie bereut, auch wenn manche Grüne mir gelegentlich vorwerfen, diesen Stachel im Fleisch noch angespitzt zu haben. Im politischen Orchester hätte ich nicht so wie Werner die Solotrompete geblasen. Bestenfalls hätte ich Triangel gespielt.
Meine letzte Begegnung mit Werner Schulz war am 19. Februar 2022 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Dort war ich zusammen mit Karl-Ernst Müller, dem unermüdlichen Unterstützer von Zwickaus westukrainischer Partnerstadt Volodymyr auf einer Solidaritätskundgebung für die Ukraine. Werner hielt die eindrucksvollste Rede der gesamten Kundgebung. Fünf Tage vor Kriegsbeginn beschwor er das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung gemäß Artikel 51 der UN-Charta.
Lieber Werner, jetzt bläst Du Deine Trompete im himmlischen Chor der Engel und darfst von Zeit zu Zeit auf uns herab blicken. Vielleicht wird es in nicht allzu ferner Zukunft eine Werner-Schulz-Straße in Zwickau geben?